Am Samstagmorgen steigen Christof und ich verschlafen ins Auto und machen uns auf den Weg von Wiesbaden nach Nordhessen zum Casseler Frauen-Ruder-Verein (CFRV). Es regnet in Strömen, aber wir sind guter Dinge. Denn wir sind auf dem Weg zu unserer Ruderwanderfahrt, der Märkischen Umfahrt, nach Brandenburg. Beim CFRV werden wir herzlich empfangen, in drei Busse eingeteilt und schon geht es los - mit den Booten auf den Hängern Richtung Brandenburg. Wir sind eine gute halbe Stunde unterwegs, als klar wird, dass die Schrauben für die Donau fehlen. Die Donau ist eins unserer Wanderruderboote, das aus zwei Teilen besteht und nach der Ankunft in Erkner zusammengeschraubt werden muss. Also machen wir mit dem einen Bus ohne Hänger kehrt und holen schnell die Schrauben in Kassel. Danach läuft alles bestens und wir kommen alle gut beim Ruderverein in Erkner an.
Wir treffen unsere Mitruderer und -ruderinnen, die separat angereist waren, laden ab und riggern auf. Dann geht es in Prieros ins erste Hotel auf dieser Wanderfahrt und der Grillabend findet wetterbedingt nicht auf der Terrasse, sondern im Hotel statt. Es wird ein fröhlicher Abend mit alten und neuen Bekannten. Wir Biebricher sind nach den Kasselern die stärkste Fraktion und mit sechs Ruderern und Ruderinnen vertreten.
In Erkner geht es am Sonntag los. Die Sonne scheint und ich bin im gesteuerten Vierer eingeteilt. Unser Obmann und Steuermann ist Thomas aus Berlin. Er kennt sich aus und benötigt heute keine Karte bzw. keinen Warschauer.
"Macht mal mehr Backe."
Thomas erklärt, was alles „auf Backe“ zu sehen ist - z. B. mit einem fast unmerklichen Augenzwinkern: „Einreiher auf Backe“. Allerdings dreht Thomas sich nicht mehr für einen Reiher um. ‚Backbord überzieht‘ heißt bei ihm: ‚Macht mal mehr Backe!‘ Morgen hat er Geburtstag und wird 82 Jahre. Wahrscheinlich rudert er am längsten von uns allen. Jedenfalls ist er topfit, gelassen und ein großartiger Ruderer.
Abends kommen wir in Prieros an. Mit der „Schurre“ (Lore) werden die Boote umgetragen. Insgesamt waren es heute über 30 km bei nahezu stehendem Gewässer (die haben sich angefühlt wie zweimal Schleuse und zurück - für die Biebricher - ihr wisst, was ich meine…) Viel Sonne und Wind, rote Gesichter! Ein schöner Tag. Abendessen im Hotel „Zur Linde“. Essen und Ambiente haben noch etwas Ostpatina. Auch das gehört zu Brandenburg und will erlebt sein.
Am Montagmorgen singen wir ein Geburtstagslied für Thomas. Dann geht es los. Einsetzen der Boote an der Umtragestelle in Prieros. Ich habe Landdienst mit Renate, Ingo und Peter. Einkaufen und an der Jugendherberge am Köthener See das Picknick vorbereiten ist unser Job. Sonne und Wolken, aber kein Regen! 13 Grad.
Ingos Ruderverein liegt am Salzgittersee. Der ist nicht groß. Einmal rum sind fünf Kilometer. Echte Ruderer lieben auch ihr kleines Ruderrevier! Und gehen außerdem gerne auf Wanderfahrt.
Mittags kommen unsere Ruderer an, die ihre Boote am Vormittag zweimal umtragen mussten, und freuen sich bei frischen Temperaturen über heißen Kaffee, den wir von der Jugendherberge bekommen haben.
Nach der Mittagspause kommt die spannende Doppelschleuse Leibsch. Trotz unterschiedlicher Kommandos von den vielen erfahrenen Ruderern aus den anderen Booten steuert unsere Obfrau Christine uns souverän durch beide Schleusen.
Bei der Schleuse in Alt-Schadow nehmen wir die Boote mit einer Schurre aus dem Wasser und fahren mit den Bussen zum nächsten Hotel in Beeskow. Am Abend gibt es Zander für alle bzw. Gröstl für die Vegetarier mit einer extra Portion Ostalgie. Kurzentschlossen wird die weitere Tagung ins „Konferenzzimmer“ des Hotels verlegt und Jürgen rückt noch die Bootseinteilung für den nächsten Tag heraus.
Dienstag rudern wir von Alt-Schadow nach Beeskow. Unser gesteuerter Zweier ist schnell und wir können fast mit den Vierern mithalten. Als erstes Boot kommen wir am Nachmittag in Beeskow beim Ruderverein an. Dort findet gerade das Training der Jugend statt, aber man lässt uns trotzdem anlegen. Wir besichtigen vor dem Abendessen die sehr beeindruckende gotische Beeskower St. Marienkirche aus dem 14. Jahrhundert, die im zweiten Weltkrieg teilweise zerstört und bis in die 1990er Jahre restauriert worden ist.
Am Mittwoch geht es für mich im gesteuerten Zweier aus Kassel aufs Wasser. Leider wird nach der ersten Schleuse unser Boot gegen ein vorstehendes Metallteil gedrückt und unsere Fahne bricht ab.
Ruth und ich tauschen auf dem Wasser die Plätze, damit die Steuerkilometer auch gerecht verteilt sind.
Der Picknickplatz am Mittag hat sich verlagert. Aber wieder hat sich unser Landdienst ins Zeug gelegt und wir tafeln in einem kleinen Hafen, wo man uns erlaubt hat, Tische und Bänke der privaten Hafengastronomie zu benutzen.
Am Nachmittag steuert Peter und wir sind wieder schnell unterwegs – nur der Oder-Spree-Kanal zieht sich bis Fürstenwalde. Ein großes Schiff kommt langsam den Kanal hinauf und als es fast auf unserer Höhe ist, gibt es die Durchsage, dass wir ein bisschen mehr unter Land rudern sollen und das Schiff uns dann sehr langsam und fast ohne Wellen überholen werde. So machen wir es und der nette Kapitän macht mit seinem Schiff tatsächlich kaum Wellen.
Pushing, not pulling
Peter weiß: „Rowing is a pushing sport, not a pulling sport!“ Dies wird zum geflügelten Wort der nächsten Tage. Peters ‚Pushing‘ bringt uns schnell vorwärts.
Plötzlich entdecken wir riesige Wasserinsekten mit ekligen Beinen und überdimensionalen Augen, die sich nach zwei Wenden als Pflanzenteile entpuppen. Und bevor der Wahnsinn komplett Macht von uns ergreifen kann, sind wir in Berkenbrück angekommen und es heißt Boote rausnehmen, lagern und in unser drittes Hotel in Fürstenwalde.
Im Hotelrestaurant gibt es leckeres Essen und Jürgen erklärt, warum er auf seinen Wanderfahrten nicht in Bootshäusern auf Luftmatratzen übernachtet. Da rennt er bei mir offene Türen ein. Denn so schön die Wanderfahrt auch ist - ich habe abends ein bisschen Grätenweh… Ein ordentliches Bett und eine Dusche nach einem Tag auf dem Rollsitz - das ist einfach schön. Und sorgt bei allen für Entspannung und beste Laune.
Auch die Elf-Uhr-Banane, die Knabberbox in jedem Boot und das Mittagspicknick sind wesentliche Bestandteile einer Rundum-Wohlfühlwanderfahrt für Jürgen und Helga. Alles ist so gut geplant und organisiert, dass die beiden täglich mit zufriedenen Gesichtern belohnt werden.
Donnerstag: Im strömenden Regen rudern wir in Berkenbrück bei Fürstenwalde los. Schon bald fahren wir in die erste Schleuse und alles klappt bestens. Nur die Regenkleidung hält dem Starkregen bald nicht mehr stand. Nach wenigen Kilometern legen wir beim Ruderverein in Fürstenwalde an, der komfortablerweise direkt neben unserem Hotel liegt. Nachdem wir zwei Stunden trocknen konnten, hat der Regen aufgehört und es geht gut gelaunt weiter.
Bald kommt am Wehr die Umtragestelle Große Tränke. Alles gut, bis... Nach dem Ablegen hatte sich ein großer Ast unter dem Steuer verfangen. Es bricht ein Stück aus dem Steuer! Eine Reparatur ist kurzfristig nicht möglich. Nun ist unser Steuermann gefordert. Wir steuern durch Überziehen, was auf der kurvenreichen Müggelspree mit etwas Strömung wunderbar klappt, aber auch nicht ganz unanstrengend ist.
Schnell hat unser Fahrtenleiter nach der kurzen Regenpause umdisponiert. Heute rudern wir nur noch bis zum Kanuverleih Hangelsberg, wo Arne, unser 40-jähriger Benjamin, der noch gar nicht soooo lange rudert, trotz schwieriger Verhältnisse souverän anlegt. Wir nehmen die Boote hier raus und es gibt einen liebevollen Snack mit belegten Broten, Erdbeeren und Süßigkeiten von unserem Landdienst, der heute leider aufs Rudern verzichten musste.
Den Abend verbringen wir noch einmal in unserem Hotelrestaurant, direkt an der Spree. Ein Steuer kann vom benachbarten Ruderverein geliehen werden und der Abend endet wie immer: Mit Rudergeschichten und unter Gelächter. Jürgen nimmt kurzfristig eine neue Bootseinteilung für den nächsten Tag vor. So können Gert und Thomas mit Michael als Steuermann mal alles geben. Und das machen sie auch.
Freitag, unser letzter Rudertag: Ganz entspannt und bei schönstem Wetter rudern wir durch die wunderschöne Müggelspree.
Mittags kommen wir am Campingplatz Jägerbude an, wo uns der Landdienst mit einem leckeren Picknick bereits erwartet. Und hier endet meine Wanderfahrt, denn ich habe nun Landdienst.
Die Nachmittagsruderer haben nur wenige Kilometer. Daher kommen wir fast zeitgleich in Erkner an.
Jetzt heißt es Boote putzen, abriggern und aufladen. Wir fahren zurück ins Hotel nach Fürstenwalde und verbringen einen schönen letzten Abend miteinander. Samstagmorgen heißt es Abschied nehmen, alle hoffen auf ein baldiges Wiedersehen. Am liebsten bei einer Ruderwanderfahrt, die Jürgen und Helga organisiert haben!
Zum Abschluss bleibt zu sagen, dass man wohl nirgendwo soviel über das Rudern lernt wie auf einer Wanderfahrt. Und obwohl ich nicht mit meinem Lieblings(ob)mann rudern konnte, war es wunderbar! Die Landschaft war großartig. Wir haben einen Seeadler gesehen, Kraniche, Milane, Nutrias, Biber, unzählige Einreiher und Zweireiher - und nicht nur auf Backe.
Wir haben neue, sehr nette Kontakte geknüpft und viel Spaß gehabt.
Jeder hat selbstverständlich überall mitgeholfen. Und ich habe gelernt, dass man selbst entscheiden muss, wenn unterschiedliche gut gemeinte Kommandos aus verschiedenen Booten und vom Land gerufen werden. Rudern zu lernen war eine meiner besten Entscheidungen.
Zurück in Kassel laden wir die Boote ab, riggern auf und räumen aus. Eine letzte Verabschiedung von Jürgen und Helga, von Tina, Peter, Alexander, Reinhard und Sabine.
Renate, wie Thomas und Hanns 82 Jahre alt, ist schon bei der nächsten Wanderfahrt angekommen. Wer will es ihr verdenken? Wenn ich mit 82 auch noch so fit bin, mach ich es genauso…
Mit an Bord waren aus Kassel: Jürgen und Helga - unsere Fahrtenleiter (!), Sabine, Renate, Arne und Reinhard, aus Berlin: Thomas, aus Salzgitter: Herbert und Ingo, aus Mosbach: Hanns und Ruth, aus Oberrad: Tina und Peter, aus Rüsselsheim: Alexander, aus Wiesbaden: Gert, Christine, Michael, Klaus, Christof und Claudia.
Ahoi!
Claudia Brandt