Grundsteinlegung für das Bootshaus Biebrich vor 100 Jahren
Die Ruderfamilie findet sich heute zusammen, um den 100. Geburtstag der Grundsteinlegung unseres Bootshaus zu feiern.
Ich heiße euch herzlich willkommen. Besonders freue ich mich auch über den Besuch der Ruderinnen und Ruderer unserer umliegenden Rudervereine. Ein herzliches Willkommen an den Eltviller Ruderverein, die Kasteler Ruder- und Kanugesellschaft, den Mainzer Ruderverein und die Mainzer Rudergesellschaft.
Zunächst geht mein Dank an das Orgateam. Barbara Deibel, Norbert Frickhofen, Michael Mayer-Marczona und Christiane Hasse haben einmal wieder ganze Arbeit geleistet. Unsere schöne Flaggenparade verdanken wir Ruth Rudorf. Und unsere Party von gestern Abend geht auf das Konto von Sven Scharf. Ca. 60 Personen haben ausgiebig gefeiert. Herzlichen Dank auch für diese schöne Gelegenheit.
Im Mittelpunkt des heutigen Tages steht aber unser Bootshaus. Es ist nicht einfach eine Bootshalle. Wir blicken auf einen baulichen Leuchtturm.
Wie kam es vor 100 Jahren zum Neubau?
Wir alle wissen, dass unsere Rudergesellschaft 1888 gegründet wurde. Ein erstes Bootshaus wurde 1891 errichtet. 1924 kam es zum Zusammenschluss des Ruderclubs Wiesbaden und des Biebricher Rudervereins. Als Folge dieses Zusammenschlusses entstand offenbar der Gedanke, ein neues Bootshaus zu errichten. Ich finde, ein grandioses Gebäude!
Wir verdanken es dem Architekten Ludwig Minner. Ludwig Minner war Mitglied in der freien Künstlerschaft Wiesbaden, einem 1925 gegründeten Zusammenschluss von Künstlern ganz verschiedener Stilrichtungen. Minners Interesse an Bildhauerei kommt beispielsweise an den zwei Relieftafeln zum Ausdruck, die mit maritimen Motiven die repräsentative Wasserfassade schmücken. Sie kennzeichnen den dem Fluss zugewandten Bogengang. Ursprünglich hatte das Bootshaus eine offene Loggia im Obergeschoss, in der Art Florentiner Paläste des 15. Jahrhunderts. Nach dem Krieg wurde die Loggia mit Fenstern geschlossen. Die venezianischen Fenster an der Ostseite erinnern an dieses stilistische Vorbild.
Das zweigeschossige Gebäude ist in neoklassizistisch-expressiver Form errichtet und erstreckt sich mit der Längsseite parallel zum Wasser. Vielen ist vermutlich nicht aufgefallen, dass die beiden großen Bootstore an der östlichen Giebelseite, in Größe und Form den Rundbögen des wasserseitigen Arkadengangs entsprechen. Dadurch, dass das Obergeschoss etwas zurückspringt entstand die Terrasse vor dem Festsaal. Markant ist auch der Treppenhausturm, dessen Dach als Ausguck mit Fahnenmast ausgebildet ist. In ihrem Buch „Historische Bootshäuser“, dem einzelne meiner Bemerkungen entnommen sind, betont die Autorin Petra Hoffmann, dass die „neoklassizistisch - expressiven Formen hier am Bautyp eines Bootshauses sehr individuell und ortsprägend eingesetzt wurden“. Sie würdigt zusammenfassend: “Das interessante Bootshaus am Rhein ist mit vielen originalen Details sehr gut erhalten und steht für die frühe Verbindung von Sportkultur und Kulturbetrieb in Wiesbaden“. Dieses Lob nehmen wir gerne an. Es gilt noch immer.
Hinzuweisen ist auf die großen freitragenden Decken, ausgeführt in Stahlbeton. Dies war eine neue Errungenschaft in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Die Firma Dyckerhoff hatte wesentlich zu dem bautechnischen Fortschritt beigetragen. Als unser Nachbar unterstützte die Firma Dyckerhoff das Vorhaben massiv.
Versetzen wir uns 100 Jahre zurück um zu verstehen, in welchem historischen Kontext die Altvorderen es gewagt haben, das Projekt Neubau eines Bootshauses anzugehen. In Deutschland herrschte wirtschaftliches Chaos. Die Hyperinflation hatte ihren Höhepunkt im Jahre 1923. Im März 1924 wurden die letzten Papiermark (5 Billionen) gedruckt. Es gab im August 1924 eine Währungsreform mit der Einführung der Reichsmark. Deutschland litt unter den Folgen des Versailler Vertrages mit hohen Reparationszahlungen an die Siegermächte für die Folgen des ersten Weltkriegs. Kurz: Für Pessimismus gab es ausreichend Gründe. Mit der Londoner Konferenz 1924 zeigten sich erste Silberstreifen am Horizont. Die Siegermächte machten Zugeständnisse und Reichskanzler Wilhelm Marx und Außenminister Gustav Stresemann durften erstmals als gleichberechtigte Partner an dieser Nachkriegskonferenz teilnehmen. Offensichtlich waren es diese zarten Anzeichen für eine bessere Zukunft, die die Vereinsführung motivierten, für die Ruderinnen und Ruderer ein neues Zuhause zu bauen. Und: Es wurde nicht gekleckert, sondern geklotzt. Mir nötigt dies einen Riesenrespekt für die Leistung der Altvorderen ab. Der Aufbruch in eine bessere Zukunft ist noch heute, 100 Jahre später die Grundlage für unseren Rudersport in Wiesbaden. Die Zukunft für mehr als 100 Jahre zu gestalten erfordert Vision, Mut und Tatkraft.
Ich möchte noch kurz mit euch gemeinsam überlegen, was dieses Haus alles in den vergangenen 100 Jahren erlebt hat.
Im zweiten Weltkrieg wurde es zunächst von der Wehrmacht beschlagnahmt. Die Bootshalle diente der Unterbringung von Pferden. Im Festsaal wurde das Heu gelagert. Nach dem Krieg zogen die US-Streitkräfte mit einem Offiziers Club in das Bootshaus ein. Erst 1949 wurde das Gebäude der Rudergesellschaft wieder für das Vereinsleben übergeben.
In den 50er Jahren wurden große Feste im Bootshaus gefeiert. Sportlich war die Rudergesellschaft mit der Siegermedaille bei den Olympischen Spielen in Melbourne 1956 im 2er mit Steuermann (Horst Arndt, Moritz von Groddeck und Steuermann Rainer Borkowski) sehr erfolgreich.
2006 feierten wir in diesem Bootshaus mit unserem Mitglied Sebastian Schulte den Weltmeistertitel des Deutschland Achters bei der WM in Eaton. Gleichzeitig begannen wir unser Gebäude umfassend zu sanieren. Der Kunststein am Außenbau wurde freigelegt und - wie ursprünglich - mit silbergrauen Mineralanstrich versehen. Die in Kunststein gearbeiteten Gliederungselement wurden von sie verdeckenden Farbschichten freigelegt. Der scharrierte Stein der Gesimse, an den Doppelpfeilern des Botengangs und den schlanken Säulen im Obergeschoss wurde wieder zum Vorschein gebracht und mit hellem Kratzputz versehen. Dach und Fußboden erhielten eine energetische Sanierung. Die Zinkeindeckung des Daches ersetzte das einfache Pappdach. Die ursprüngliche Treppe zum Bootsplatz wurde durch eine baurechtlich erforderliche Fluchttreppe aus Stahl ersetzt. Die Mahnmale der gefallenen Ruderer im Treppenhaus wurden im ursprünglichen Farbton gestaltet und im Innern wurde die Kassettendecke und die Vertäfelung wieder freigelegt und im ursprünglichen Holzton lasiert. Die Zeitschrift Denkmalpflege und Kulturgeschichte 1/ 2010 würdigte die Sanierung mit dem Titel: „Eine Loggia für die Ruderer“.
Sehr froh können wir auch sein, dass wir mit Wolfgang Thrun einen ebenso wie 1924 Ludwig Minner künstlerisch ausgerichteten Architekten für unseren Neubau gefunden haben. Das Funktionsgebäude tritt nicht in Konkurrenz mit dem Bootshaus, sondern zeigt selbstbewusst seinen eigenen modernen Baustil. Für mich ist es jedes Mal eine Freude, das gelungene Ensemble von außen zu sehen und im Innern zu trainieren.
Ergänzt wird der Ruderbetrieb seit 1973 durch unsere schwimmenden Bootshäuser in Schierstein. Beschlossen ist durch das Stadtparlament der Landeshauptstadt Wiesbaden, dass das dritte Bootshaus errichtet wird und wenn wir Glück haben, können wir im Mai 2025 Jahres die Einweihung feiern. Dadurch schließt sich 100 Jahre nach der Einweihung dieses Bootshaus der Kreis für das Rudern in Wiesbaden.
Daher ist mein Fazit: Es läuft für den Rudersport in Wiesbaden.
Das Wichtigste ist das Engagement unserer Mitglieder: Daher lest die vielfältigen berührenden Aussagen von aktuellen Ruderinnen und Ruderer unter dem Motto: „Ich bin in der RWB ….“
Lasst euch von der Vielfalt und der Freude die dort zum Ausdruck kommt inspirieren. Mit euren Aussagen zeigt ihr den Optimismus, der auch unsere Altvorderen vor 100 Jahren motiviert haben muss, dieses einmalige Bootshaus zu errichten. Der Dank, diese inspirierenden Zeitzeugnisse auf großen Tafeln weithin sichtbar gemacht zu haben, geht an Norbert Frickhofen und Christina Neuner.
Ich schließe mit unserem rudersportlichen Gruß:
Auf dem Rudersport und ganz besonders auf den 100. Geburtstag unseres Biebricher Bootshauses ein dreifaches Hip Hip Hurra.
Andreas Hasse 25. August 2024